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Beuys trifft Leibniz

Ein Dialog zwischen Gerhard Stamer und Wolfgang Zumdick zur Vorbereitung der Soiree „Beuys trifft Leibniz" am 14. März 2009 im Reflex-Institut für Philosophie, Hannover


Lieber Gerhard

glaubst du, dass wir in der bestmöglichen aller Welten leben? Ist nicht die Polemik, die sich von Anfang an gegen diesen zentralen Gedanken von Leibniz richtete, berechtigt? Ein Blick auf Gaza, auf die fürchterlichen Attentate im Irak und Afghanistan - wie kommt Leibnitz, in dessen Zeit es mit Sicherheit nicht friedvoller zuging, überhaupt dazu, ihn mit dieser Vehemenz zu behaupten?

Oder könnte es sein, dass der Mensch gerade erst dabei ist, die bestmögliche aller Welten zu entdecken? Dass er seit der Vertreibung aus dem Paradies wusste, wie schön und gut diese Welt ist und dass er sich ziemlich anstrengen muss, wenn er sie zurückbekommen will?

Ist es nicht so, dass der Mensch insgeheim weiß, dass er in der bestmöglichen aller Welten lebt, dass diese zugleich aber auch seine Aufgabe ist? Dass er, wie ein Kind in sie hineinwächst und gute und schlechte Erfahrungen macht und erst allmählich lernt, wie er sich in ihr zurechtfinden und sie - wie Hegel so schön sagt -, von einer fremden Welt zu seiner eigenen machen kann?

Dass er sich dabei so oft die Köpfe eingeschlagen hat, dass er nur all zu oft nur mit dem Kopf durch die Wand wollte und immer noch will, sagt doch im Prinzip nur aus, dass er noch sehr viel zu lernen hat - oder wie siehst du das?

 

Lieber Wolfgang

ob ich glaube, daß wir in der bestmöglichen aller Welten leben? Wenn ich Fausts Gretchen wäre...aber ich bin es nicht. Und dann denke ich, nur Gott könnte die Frage wirklich beantworten. Er läßt uns nicht in seine Karten blicken. Und was mich betrifft, so muß ich ganz bescheiden bekennen, ich kenne nur die eine Welt. Aber warum wäre keine bessere möglich? Was mag sich da Leibniz gedacht haben? Irgendetwas muß er sich dabei gedacht haben, denn völlig verrrückt war er ja nicht, auch wenn ich glaube, daß jemand zu seiner Zeit schon ganz schön verrückt gewesen muß, um eine Rechenmaschine zu erfinden. Aber nun im Ernst. Ich denke, daß wir Gegenwärtigen von den historischen gräßlichen Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts derart geprägt sind , daß wir seinen Gedankengang kaum verstehen können. Aber schon Voltaire hatte seine Schwierigkeiten. Wovon sich Leibniz überzeugt hatte, das war die durchgehende Harmonie des Weltalls. Er spricht von einer Universalharmonie. Tatsächlich, wenn wir die kompatibilitäten in der Welt uns vor Augen führen: die von Denken und Sein, die von Luft, Wasser, Feuer und Erde, die von Tieren und Pflanzen, die der Elemente Eisen, Wasserstoff, Chlor und Natrium, die der kreisenden Himmelsgestirne über Millionen von Jahren, die Bedingungen der Möglichkeit für die Evolution, weiter daß es Mathematik gibt und Zeit und Raum, die sich berechnen lassen, die Sonne, die die Wärme spendet und das Licht, dann ist das Ganze ein solches Gefüge von unendlich vielen Faktoren, die ineinandergreifen und zueinander passen, daß man, wenn man sich wirklich in der Vorstellung zu diesem Bild erhebt, darin eine einzigartige wundervolle Harmonie erblicken muß. Dieser Blick geht nicht von dem Schicksal des einzelnen Menschen aus. Leibniz ist in dem Sinne kein Existenzialist. Er geht von dem Ganzen aus, dem Universum, das auch die Erhaltungsbedingungen für das einzelne, auch für den einzelnen Menschen enthält. Und wie auch immer Mensch zu sein, die Ermöglichung des Menschseins, das Universum anblicken zu können, sich der Unendlichkeit im Endlichen bewußt zu sein, Farben, Töne, Gerüche, die Liebe, die Erinnerung, die Hoffnung erleben zu können, sind so berauschende Erlebnisse, die nur auf der Basis höchster Harmonie möglich sind.

Und dann kann man die Sache noch viel einfacher sehen: Wenn es denn Gott gibt, dann macht er keinen Fuschkram, sondern eben schlicht das Beste, sonst wäre er nicht Gott.

Herzlicher Gruß!

 

Lieber Gerhard

wunderbar! Schöner kann man es nicht sagen ...

Aber was gerade unter dieser Perspektive noch mehr ins Auge sticht, ist der Unterschied zwischen der Einzigartigkeit und Vollkommenheit der Welt auf der einen Seite, und dem, wie wir als Menschen auf der anderen Seite auf diesem Erdball zu handeln pflegen. Wenn wir zurückschauen finden wir wunderbaren Hymnen und Gesänge - in Griechenland beispielsweise von Pindar bis Odysseas Elitis - wir finden die schönsten Tänze, Skulpturen, Malerei die die Schönheit des Menschen und der Welt preisen und besingen und sie zeugen davon, dass der Mensch ein hohes Bewusstsein von der Vollkommenheit der Schöpfung besitzt. Er selbst ist ein Stück dieses vollkommenen Kosmos und er hat es in allen möglichen Ausdrucksformen immer wieder zur Geltung gebracht. Ja, ich würde sogar mit den Romantikern so weit gehen zu behaupten, dass der Mensch als Künstler in gewisser Weise dem Schöpfer durchaus ähnlich ist.

Aber man muss doch auf der anderen Seite auch sagen, dass dieses Bewusstsein heute nicht mehr in besonders hohem Kurs steht. Sicher, wir bauen jetzt Windräder und Solarzellen statt Atomkraftwerke - ein riesiger Fortschritt, aber man kann meiner Meinung nach nicht behaupten, dass die gesamte Debatte über sozialen Fortschritt und soziale Entwicklung, über Ökologie und Nachhaltigkeit unter besonders "poetischen" Vorzeichen steht. Im Gegenteil,die Debatte um die Zukunft wird eher technokratisch als künstlerisch geführt.

Es kann sein, dass wir in gewisser Weise das Bewusstsein für die Schönheit der Welt in der wir leben allmählich verloren haben und weiter zu verlieren drohen, besonders vielleicht hier in Mitteleuropa, wo beispielsweise die Lyrik, die durch ihre Nähe zur Musik am besten geeignet ist, diese Schönheit zu besingen, nicht sonderlich hoch im Kurs mehr steht. Das ist in vielen Regionen der Erde sicherlich noch anders, wenn man genauer hinschaut. Aber diese elementare Weltgefühl und Welterlebnis ist meines Erachtens äußerst bedroht. Auf der anderen Seite bin ich kein Pessimist und Larmoyanz hilft uns sicherlich am wenigsten weiter. Ich bin mir auch sicher, dass dem Menschen nach wie vor dieses tiefe poetische Vermögen innewohnt, das ihm zeigt, dass er mit jeder Faser ein Teil dieser Schöpfung und tief mit ihr verbunden ist.

Nun, das ist die eine Seite. Die andere aber betrifft eben das, was uns nicht vom Schöpfer mitgegeben wurde und das betrifft die Frage unserer Selbstbestimmung. Wenn wir, nehmen wir das jetzt einfach mal als Tatsache an, freie Wesen sind, die ihr Tun und Handeln in der Welt selbst bestimmen können und der Schöpfer für sie ja seit geraumer Zeit kaum noch eine Rolle spielt, dann stellt sich doch auch die Frage, warum sind wir als Menschen denn nicht ein Teil dieser Schöpfung geblieben und haben als ihre - vielleicht vollkommenste - Geburt uns ganz in ihrem Rahmen bewegt?

Warum waren wir so scharf darauf, aus diesem Paradies vertrieben zu werden und plagen uns seitdem und schlagen uns die Köpfe ein?

Warum sind wir so eigensinnig und wollen nicht auf die großen Schöpfungsgesetze hören, nach denen zu leben uns vermutlich das Leben sehr viel leichter machen würde, als wir es jetzt tun?

Vielleicht ist ja dieser Drang zur Freiheit, der auch vor dem Scheitern, vor Verzweiflung und Tod nicht zurückschreckt, der es wissen will, eigensinnig bis zur Selbstaufgabe, alles leugnend, alles in Frage stellend, vielleicht ist ja gerade dies eine der größten Gaben, die der Mensch besitzt?

Und vielleicht kommen wir ja gerade von dieser Seite, aus dieser tiefen Erfahrung des Scheiterns überhaupt erst grundlegend an die Idee der Schönheit heran. Wenn wir sie nicht mehr geschenkt bekommen, sondern wir auf einmal erkennen, dass unsere Freiheit in der Möglichkeit besteht, dass wir sie selber schaffen können. Dass wir in der Lage sind, unsere Verhältnisse so einzurichten, wie eine Fuge von Bach. Das allerdings wäre dann eine echtgroße, menschengemäße Aufgabe, vor der die menschliche Freiheit stünde: Unser menschliches Dasein selbstbewusst zu gestalten in einem Sinn, wie Joseph Beuys es durch den Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler" andeutet: als eine gemeinsame, vom Menschen aus seiner Freiheit heraus gestalteten Skulptur.

Hier käme dann etwas zum Tragen, was ja in der Sozialen Skulptur Ort des Treffens auch eine wichtige Rolle spielt. Wie komme ich als einzelner Mensch aus meinem Schneckenhaus und lerne mich selbst, die Welt und meine Mitmenschen besser verstehen? Und wie können wir miteinander zu einer Praxis kommen, die vielleicht noch nicht die bestmögliche ist, die ihr aber mit Sicherheit näher kommen kann?

Herzliche Grüße aus Aachen, ich freue mich schon auf deine Antwort und unser Gespräch im März

Wolfgang

 

Lieber Wolfgang

ich sehe das so: Die Menscheit ist jung. Der Weg der Menschheit ist nicht vorgezeichnet. Es ist seit Anfang an ein Aufbruch in unbekanntes Gelände, das nicht nur die Welt in Raum und Zeit, sondern auch sie selbst ist. Der Freiheit des Menschen entspricht die Offenheit der Welt. Nur auf einer sehr hohen Abstraktionsstufe kann diese Welt als "die beste aller möglichen" bezeichnet werden. Aber weil diese Abstraktionsstufe ein Sein bezeichnet, das gegeben ist hinter allem, was sich vollzieht und geschieht, ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Menschen die Möglichkeit nutzen, die in ihrer eigenen Freiheit und der Offenheit der Welt liegt, sich und die Welt zu vervollkommnen, das heißt, in Konkretionen sich dem Sein anzugleichen. Der Engel der Zukunft blinkt mit einem Licht aus der Ferne.

Ich sehe das also nicht viel anders als Du.

Danke für die Anregung zu diesen Gedanken.

 18 03 2009